«Der Tarangire darf nicht sterben!»

 Die Vogelperspektive verrät es: Wo der wildreiche und von Siedlungen umzingelte Tarangire-Nationalpark in Nordtansania bedrängt wird, aber auch wie ihm geholfen werden kann. Eine Reportage mit geschichtlichem Rückblick – aus dem Cockpit.

Von Ruedi Suter – FSS 

Das Flugzeug kippt abrupt in eine steile Schräglage. So, als müsste es einem direkt auf uns zufliegenden Geier ausweichen. Gleich wie es damals der 25-jährige Michael Grzimek über der Serengeti versucht hatte. Vergebens: Sein zebragestreiftes Kleinflugzeug schmierte ab, und der Sohn des berühmten Verhaltensforschers Bernhard Grzimek überlebte nicht.

Das geschah, fast auf den Januartag genau, vor 59 Jahren. Die Dornier Do 27 war mit einem Geier kollidiert. Ironie des Schicksals: Michael starb, weil er wollte, dass die Serengeti überlebt. Er schrieb an einem Buch, dass sein Vater vollenden musste und sich, zusammen mit dem gleichnamigen Film, weltweit zum Weckruf für den Naturschutz in Afrika entwickelte: «Die Serengeti darf nicht sterben».

Cessna Skylane 182Q: Überflug in der Regenzeit macht möglich, was mit Auto unmöglich wäre | © RS

Unser Pilot muss keinem grossen Vogel ausweichen. Das Abkippen seiner Cessna Skylane 182Q nach rechts hat einen anderen Grund. Jetzt, wo meine rechte Schulter von der Schwerkraft ans Fenster Richtung Erde gezwungen wird, tönt es im Kopfhörer: «Siehst du die Parkgrenze?» Und wie ich sie sehe!

Regenzeit im Tarangire-Nationalpark: Krasser Gegensatz zur wasserlosen, beigen Trockenzeit | © Foto RS

Alex Rechsteiner, FSS-Afrikadelegierter: «Der Tarangire darf nicht sterben!» | © Foto RS

Unter uns durchschneidet eine fadengrade Linie die Landschaft. Sie endet am Horizont, und sie löst Unbehagen aus. Denn hier kollidieren zwei Welten: Links die Wildnis mit ihrer Vielfalt an Wildtieren, Wildpflanzen und kaum berührten Landschaften, rechts die Zivilisation mit ihren Siedlungen, Feldern, Strassen, Rinder-, Schafs- und Ziegenherden.

Unter Druck der umliegenden Bevölkerungen

Alex Rechsteiner (49), der Pilot, legt die Cessna zurück in die Horizontale und fliegt sie der Linie entlang. Jetzt zeigt sich, wie diese zaunlose Südgrenze des Tarangires durchbrochen ist, wie da und dort im Park Siedlungen und kleine Felder angelegt wurden und wie Hirten ihre Rinderherden unbekümmert weiden lassen. Alles verboten, nichts davon wurde je gestattet.

Wir sind Zeugen des wachsenden Druck der Menschen auf den Tarangire, ähnlichem jenem auf die Serengeti und alle Naturschutzgebiete des Kontinents. Die Nationalparks und Wildschutzgebiete werden angeknabbert, besiedelt, ihre Tiere bejagt, ihre Bäume gefällt, ihre Früchte und der Honig geplündert, wenn die Behörden nicht dauerhaft und energisch durchgreifen.

Eine kostspielige Herkulesaufgabe, schwer zu bewältigen bei der ungezügelten Bevölkerungszunahme, der Wilderei, dem illegalen Wildtierfang aber auch beim Klimawandel mit seinen zerstörenden Auswirkungen auf die Landwirtschaft sowie dem chronischen Mangel an Geld und Ausrüstungen. Immerhin: Die Magufuli-Regierung beginnt jetzt auch im Tarangire die Gesetze durchzusetzen.

Regenzeit im Tarangire-Nationalpark: Krasser Gegensatz zur wasserlosen, beigen Trockenzeit | © Foto RS

37 Würgeschlangen in den Bäumen

Die Cessna dreht ab, nimmt Kurs ins Parkinnere. «Der Tarangire darf nicht sterben» hatte mir Alex Rechsteiner den Flug von Usa River zum Tarangire-Nationalpark in seiner wortkargen Art begründet. Ein mehrdeutiger Satz, der auch über die Familiengeschichte des in Tansania aufgewachsenen Managers und Afrikadelegierten der Freunde der Serengeti Schweiz (FSS) zu verstehen ist.

Denn er und sein Bruder Daniel (51) verbrachten als Kinder zusammen mit den Eltern David (85) und Lilian Rechsteiner (77) ganze Wochen im Busch unter uns. Man erreichte ihn Anfangs der 1970-ger Jahre in mühsamen Schritttempo-Fahrten durch die damals unbesiedelte Massai-Ebene, in der noch zahlreiche Wildtiere lebten – Zebras, Gnus, Giraffen und Gazellen, Büffel, Hyänen und Grosskatzen, Elefanten – und Spitzmaulnashörner. 37 begegneten sie allein an einem Abend nahe des Tarangire-Flusses.

Dank Niederschlägen Grünfutter im Überfluss… Kaffernbüffel im Tarangire | © Foto RS

Schweizer gaben die Idee zur Parkgründung

Doch seit Ende der siebziger Jahre durchstreifen keine Rhinos mehr die unter uns vorbeiziehende Savanne. Alle weggewildert. Dabei war «Kifaru», wie das Tier auf Suaheli heisst, der Ursprung dieses 2’850 Quadratkilometer grossen Nationalparks.

Dass es ihn gibt, ist vorab der Initiative der FSS-MitbegründerInnen David und Lilian Rechsteiner zu verdanken. Sie, die im vormaligen Wildreservat viel zu Fuss unterwegs waren, alarmierten Ende der sechziger Jahre die ausufernde Wilderei und das rasche Verschwinden ihres Lieblingstiers, welches später auch das Logo des FSS schmücken sollte.

Ihre Vorstellung: Die Umwandlung des noch wildreichen Reservates in einen besser geschützten Nationalpark. Bernhard Grzimek liess sich von der Idee begeistern. Ebenso dessen Freund Julius Nyerere. Der erste Präsident Tansanias versprach seine Unterstützung – 1970 wurde der Tarangire-Nationalpark aus der Taufe gehoben.

Tarangire-Gründung 1970: Extreme Gegensätze zwischen Trocken- und Regenzeit | © Foto RS

Kein Durchkommen mit Geländefahrzeugen

Alex Rechsteiner kennt Nordtansania wie sein Cockpit. Kaum ein Gebiet, welches er nicht auch mit dem Geländewagen erkundet hätte. Heute aber wäre ein Durchkommen am Boden unmöglich gewesen. Ungewohnte Regenfälle haben weite Teile unter Wasser gesetzt, haben das sonst knochentrockene Gebiete in bezaubernde Landschaften mit schimmernden Wasseradern verwandelt.

Hier unten wären wir mit dem Wagen schnell im Schlamm versackt! Und wir hätten nie diese kleinen Seen erreicht, welche die Cessna eben überfliegt. Es sind die Dämme von Mkungunero, diese mit Hilfe des FSS ausgebaggerten Senken. Sie retten Tierleben, sie ermöglichen es dem Wild während der Trockenzeit im Park zu bleiben. Denn ausserhalb des Parks, in den unterdessen fast überall besiedelten Gebieten, lauert der Tod – durch Wilderer oder Bauern und Hirten, die ihre Felder und Herden verteidigen.

Strausse auf Augenhöhe: Tarangire-Nationalpark, weites Land mit vielen Wildtierarten | © Foto RS

Wo können notwendige Wasserstellen angelegt werden?

Im frischen Grün des Busches unter uns sichten wir nur wenige Tiere, doch Rechsteiner schaut eh nach etwas anderem. Er drückt den Flieger Richtung Erde, um die Strömungen der temporären Wasserstrassen besser zu erkennen. «Ich möchte wissen, wo wir für die Trockenzeiten eine weitere Senke ausheben können.» Je mehr Wasserstellen, je besser für die Wildtiere.

Der Afrikadelegierte erinnert mich an seinen Vorgänger, seinen Vater David, mit dem ich vor 30 Jahren erstmals unterwegs war, um in den abgeschiedensten Gebieten der West-Serengeti und des Tarangire nach Lösungen für die Bedürfnisse der WildhüterInnen und Wildtiere zu suchen.

Tarangire, 2’850 Quadratkilometer weit: Letzte Zuflucht für Elefanten | © Foto RS

Vorteile des Beobachtens am Himmel oder vom Boden

Das gleiche Engagement, die gleiche Liebe zum Land. Nur die Mittel haben sich etwas geändert: Der Sohn hat sich in seiner Freizeit zum Buschpiloten ausbilden lassen. Die Vogelperspektive hat es ihm angetan: «Du siehst schneller mehr.»

Das stimmt. Es stimmt aber auch, was sein Vater gerne sagte: «Am Boden spürst du mehr.» Alex Rechsteiner kennt beides. Zum Glück für ihn, den FSS und den Tarangire, der als Tierparadies noch lange leben soll.

Titelbild: Alex Rechsteiner bringt das Flugzeug zur besseren Beobachtung in Schräglage | © Foto Ruedi Suter
Erstpublikation dieser Reportage: HABARI , Magazin der Freunde Serengeti Schweiz (FSS)

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