Afrikas Zugvögel im Sperrfeuer Europas

Fliegen Zugvögel von Europa nach Afrika oder zurück, erreichen viele ihr Ziel nie: Wilderer und Jäger schiessen sie zu Millionen vom Himmel.

So verlieren jedes Jahr weit über 50 Millionen Vögel ihr Leben. Hinzu kommen weitere Millionen, denen in Europa mit Fallen nachgestellt und allgemein die Lebensgrundlagen geraubt werden.

Die Forderung von Naturschützenden, wenigstens für gefährdete Vogelarten ein europaweites Jagdverbot durchzusetzen, verhallte bislang in den Weiten des Himmels. Dies nicht zuletzt auch zum Nachteil der afrikanischen Fauna.

Von Ruedi Suter - FSS

Es wird stiller und stiller – die Vogelgesänge erklingen immer seltener. Auch die Schwärme der Zugvögel nach Afrika nehmen ab. Es sind immer weniger. Die Vogelwelt ist gefährdet – sie ist am Verschwinden. Jede und jeder über Vierzigjährige mit Naturinteresse erfuhr den unaufhörlichen Rückgang.

Vor allem Büsche, Bäume und der Himmel wirken verwaist im Vergleich zu früher, die vielen Formationen grosser Zugvögel über unseren Köpfen werden heute als echte Sensation empfunden.

Der Mensch und seine Zivilisation mit ihren technischen Erleichterungen verunmöglichen gerade in Europa zusehends das Überleben der fliegenden Tiere – vom Insekt über die Fledermaus bis zum Vogel.

Bestätigt wird dies jetzt auch durch den Vogel-Expertenrat «European Bird Census Council (EBCC)». Ihm zufolge ist allein zwischen 1980 und 2016 die Zahl der Vögel um zirka 56 Prozent geschrumpft.

Schweiz: 40 Prozent der Vogelarten vor der Ausrottung

Die Schweiz, oft Sinnbild für «das Paradies», ist für Gefiederte zu einer Todesfalle verkommen. Denn auf der Roten Liste gefährdeter Vögel stehen in der Eidgenossenschaft dreimal mehr Arten als im weltweiten Vergleich: 40 Prozent der Vogelarten sind neuen Studien zufolge von der Ausrottung bedroht. Das betrifft zu einem guten Teil auch jene Zugvögel, die vor Einbruch des europäischen Winters der Wärme Afrikas entgegen fliegen.

Kaum vorstellbar sind in Europa all die Millionen von Gefiederten, welche alljährlich ihr Leben verlieren – durch vernichtende Angriffe auf ihre Lebensräume, durch den Zusammenprall mit Fahrzeugen wie Autos und Eisenbahnen, durch Glasfassaden, Stromleitungen, Windräder und Hauskatzen beispielsweise.

Angriffe auf die Insektenwelt

Aber auch durch die Intensiv-Landwirtschaft mit ihren heckenlosen und sumpffreien Flächen, Fettwiesen und Pestiziden, die zur Ausrottung der Insekten führen. Zahlreichen Vogelarten fehlen heute die Kerbtiere wie Mücken, Fliegen oder Käfer, die vor wenigen Jahrzehnten noch in Fülle unsere Wälder und Wiesen belebten.

«Innerhalb der kurzen Zeit von nur drei Jahrzehnten hat der Mensch in verschiedenen Gebieten die Insektenpopulationen um bis zu 75 Prozent dezimiert», warnt die Umweltschutzorganisation Pro Natura. 40 Prozent aller Insektenarten droht bereits das endgültige Verschwinden.

Verstärkt wird die Massenvernichtung dieser wichtigen Vogelnahrung durch unzählige «naturverbundene» Gartenbesitzer. Sie pflegen ihre Gärten tot, mähen Teppichrasen, um ja nichts blühen zu lassen und pflegen Rosenstöcke, die kein Insekt nähren kann – die Kleinsttiere verhungern in der geschniegelten Grünöde.

Die Landschaft «verkommt zur Wüste»

Benoit Fontaine, Biologe am französischen Nationalen Museum für Naturgeschichte, bringt das Ignorieren der Bedürfnisse der Vögel, Amphibien und Insekten durch Landwirte (Bio-Bauern ausgenommen) auf den Punkt: «Unser ländlicher Raum verkommt zur Wüste!»

Der galoppierende Artenverlust in der Vogelwelt, so befürchten Forschende, werde durch die Klimaerwärmung noch massiv verstärkt.

Wird in Europa immer wieder in dramatischer Weise thematisiert, wie unerbittlich in Afrika die Wildtiere dezimiert werden, bleibt die Kritik am eigenen «Vernichtungsrausch» doch sehr verhalten.

Europas Jäger schiessen 53 Millionen Vögel ab

Wie viele Vögel jedes Jahr allein in Europa aufgrund menschlichen Einwirkens ihr Leben verlieren, versuchen vorab Vogelspezialisten und Umweltorganisationen mit zweistelligen Millionen zu beziffern. Die Schätzungen variieren, die Zahlen bilden eher Anhaltspunkte. Besonders bei den Gefiederten, die gewildert werden. So sollen «im Mittelmeerraum» allein 25 Millionen Wildvögel in Netzen, Fallen oder Käfigen umkommen. Hinzu kommt jedes Jahr mindestens das Doppelte an Jagdopfern.

Allein in der Jagdsaison 2014/15 sind in 24 EU-Staaten, der Schweiz und Norwegen «mindestens 53 Millionen» Wildvögel «legal» getötet worden. Die Zahl stammt vom Deutsche Rat für Vogelschutz. Und sie ist gut belegt, stützt sich doch seine Studie auf die offiziellen Jagdstatistiken.

Die meisten Opfer sind Zugvögel

Hinzu gezählt werden müssen Millionen weiterer Todesopfer in Ländern ohne auswertbare Daten: Grossbritanien, Irland, Niederlande und Griechenland. Plus alle jene Vögel, die im nicht erfassten Mittelmeerraum oder in Afrika selbst abgeschossen werden.

Ein Grossteil der in Europa umgebrachten Wildvögel sind, so die Studie, Zugvögel, die in etlichen Regionen bereits vor der Ausrottung stehen. In der Schweiz oder in Deutschland würden streng geschützte Kiebitze, Bekassinen, Feldlerchen oder Turteltauben auf ihrem Herbst-Zug ins Winterquartier «zu Hundertausenden in Frankreich und Südosteuropa» abgeschossen.

Erfolg: Waldrappen in Europa ausgerottet, neu angesiedelt. Bleibt stark bedroht | © Foto Waldrapp-Team

Tausende von Waldschnepfen und arktischen Gänsen verenden in den Schrotgarben deutscher, britischer, skandinavischer und osteuropäischer Jäger. Im Visier der Vogeljäger sind je nach europäischem Land auch Wachteln (total 1,6 Millionen) oder Singdrosseln (4,9 Mio.). Werde der Vogelwelt legal und illegal weiterhin so mörderisch zugesetzt, befürchten die Autoren, wäre das Zusammenbrechen der Bestände unvermeidlich.

Forderung: «Endlich Jagdverbote durchsetzen!»

Daraus folgert Heinz Schwarze, Vorsitzender des Komitees gegen den Vogelmord das: «Die Ergebnisse sind alarmierend und ein weiterer Beleg dafür, dass die Jagd auf bestimmte Arten die Schutzbemühungen in anderen Ländern gefährdet oder sogar komplett zunichte macht.» Sein Komitees und der Deutsche Rat für Vogelschutz fordern deshalb vereint von der EU-Kommission, «endlich europaweite Jagdverbote für gefährdete Arten durchzusetzen.»

Das würde auch den Afrikanern und Afrikanerinnen entlang der Zugvogelrouten zu Gute kommen. Die Biodiversität ihrer Gegenden verlöre nicht so rasch die Vogelarten, welche heute auf ihrem Flug nach Afrika und zurück durch Europäer vom Himmel geschossen werden.

Vorwurf des grundlosen Tötens

In Afrika selbst wird über das Verhalten der Europäer oftmals der Kopf geschüttelt. So rang 2001 der togolesische Fernseh-Chefredaktor Joseph Adri D. Gnassengbe in der französischen Ardèche bei einer vom schweizerischen Umweltschützer Franz Weber organisierten Protestaktion gegen die Vogeljagd um eine Antwort.

Er fragte anwesende Jäger, weshalb in Europa die erlegten, jedoch nur selten verwerteten Vögel nicht alle auch gegessen würden? In Afrika, begründete der Journalist seine Frage, würde nur gejagt, um den Hunger zu stillen. Eine Antwort erhielt der Afrikaner keine.

Titelbild: Symbolbild Vogeljäger mit Beute | Screenshot. FSS

Zurück
Zurück

Magufuli will keinen chinesischen Superhafen in Bagomoyo

Weiter
Weiter

Verdammter Selous-Dammbau